Verabschliedung von André Dinter

Zwölf Jahre in der Schulleitung

Interview mit André Dinter

Zwischen Februar 2008 und Februar 2020 gehörte André Dinter als Prorektor der Schulleitung der KME an. Er hatte wichtige administrative Funktionen inne, war neben vielem anderen verantwortlich für Infrastruktur und Budget und setzte sich wie kein Zweiter für die Informatik und den digitalen Aufbruch der Schule ein. Ohne ihn sähe die KME heute anders aus. Zeit für einen Rückblick. Die Fragen stellte Andreas Villiger.

«Es war toll, bald im Raum von Schulleitung und Sekretariat gewisse Aufgaben bearbeiten und eigene Vorstellungen realisieren zu können.»

Lieber André, vielen Dank, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Zwölf Jahre in der Schulleitung: Das ist eine lange Zeit. Was fehlt dir am meisten, seit du vor bald einem Jahr die Schulleitung verlassen hast?

ANDRÉ DINTER: Vor Antritt des Prorektorats hatte ich in meiner Bewerbung geschrieben, dass es mir bewusst sei, dass der Übergang von der Tätigkeit einer Lehrperson in den Bereich der Schulleitung eine bedeutende Rollenänderung nach sich zieht. Man verlässt den bekannten Sozialraum und wird in einen noch fremden integriert. Diese Integration ist mir damals gar nicht so schwer gefallen, wie ich angenommen hatte.

Ganz im Gegenteil: Es war toll, bald im Raum von Schulleitung und Sekretariat gewisse Aufgaben bearbeiten und eigene Vorstellungen realisieren zu können. Dieser kooperative und partizipative Ansatz hat mir immer sehr gut gefallen. Beispielsweise hatte ich ein paar Jahre später die Möglichkeit, die Stundenplandarstellung mit Hilfe der WebUntis-Umgebung neu zu gestalten. Ein Jahr lang wurde recherchiert und in enger Zusammenarbeit mit Stundenplanung, Informatik, Sekretariat und Schulleitung ausprobiert, bis die aktuelle Lösung tragfähig war. Sie funktionierte auf Anhieb gut und bot durch die Handy-App-Anbindung einen Mehrwert für die Studierenden. Diesen Sozialraum, der durch ein starkes Miteinander geprägt ist, den vermisse ich doch sehr.

Was vermisst du am wenigsten?

ANDRÉ DINTER: Als Kind war mein innigster Berufswunsch, Bäcker zu werden. Der Hefeduft, das Frische und Knusprige, die prallen Formen und Farben haben mich sehr beeindruckt. Verdrängt hatte ich damals die Arbeitszeiten. Und dann ist es doch anders gekommen und ich bin Chemiker geworden, was ja nicht ganz weit vom Backbusiness entfernt ist. Man produziert auch Stoffe, aber zu wesentlich günstigeren Arbeitszeiten. Während meines Prorektorats läutete der Wecker beständig um 5:45 Uhr, zu Maturprüfungszeiten auch gerne um 5:15 Uhr. Nicht erschreckend früh, aber doch bedeutsam für mich. Das habe ich jetzt nicht mehr in dieser Regelmässigkeit.

Apropos Maturprüfungen: Diese verteilten sich an der KME auf unterschiedliche Zeitpunkte, häufig nach den Ferien. Maturprüfungen müssen organisatorisch perfekt laufen. Schon kleine Störungen haben grosse Auswirkungen, da alle Beteiligten, besonders aber die Studierenden, verständlicherweise eh angespannt und nervös sind. Wenn dann ein Maturprüfungsexperte bei den mündlichen Prüfungen fünf Minuten vor Prüfungsstart erscheint, ist ja alles gut, aber meinen Nerven hat das nicht besonders gut getan. Da bin ich doch froh, dass ich die ständige Verantwortung jetzt weitergeben durfte.

In den letzten zwölf Jahren haben sich das Lehren und Lernen an der KME stark verändert. Du hast aktiv dazu beigetragen, dass Abkürzungen wie üfK (= überfachliche Kompetenzen), SOL (= selbstorganisiertes Lernen), bSS (= begleitetes Selbststudium) oder BYOD (= Bring Your Own Device) nicht nur den pädagogischen Diskurs unter Lehrpersonen aufhübschen, sondern schulischer Alltag wurden. Welcher dieser Innovationsschritte scheint dir rückblickend der wichtigste gewesen zu sein?

ANDRÉ DINTER: Letztendlich greifen ja viele der genannten Themen ineinander. Der Vorteil von BYOD liegt nicht darin, dass alle einen Computer vor sich haben und anstatt ins Heft auf den Bildschirm schreiben.

Vielmehr ermöglicht BYOD mit Stift-Notebooks erweiterte Zugänge zum Lernen, z.B. für mein Fach Chemie mit Modellen und Simulationen. Erweitert man klassischen Unterricht, begibt man sich sehr schnell in Richtung der Übergabe von Verantwortung an die Studierenden. Und da spielen dann die überfachlichen Kompetenzen herein. Die Studierenden sind gefordert, Selbstverantwortung zu übernehmen, sie brauchen sogenannte Selbstkompetenzen. Eine davon ist wiederum das selbstorganisierte Lernen. Und wenn explizit Unterrichtsinhalte wie in den Teilzeitklassen in ein Selbststudium, das von den Lehrpersonen begleitet wird, verlagert werden, dann nähern wir uns meiner Meinung nach der erwachsenengerechten Schule immer weiter an. Wichtig scheint mir, dass wir gemeinsam als KME den eingeschlagenen Weg nachhaltig festigen und weitere Innovationsschritte machen.

«Die Trends werden sich ändern, aber die Frage ‹Was ist guter Unterricht?› wird bestehen bleiben.»

Gibt’s eine nächste Abkürzung, die wir uns für die Zukunft merken sollten?

ANDRÉ DINTER: Da werden im Moment eine ganze Reihe neuer Themen herumgereicht von Learning Analytics mit Big Data (BD) über Virtual Reality (VR) bis zur künstlichen Intelligenz (KI). üfK-SOL-bSS-BYOD-BD-VR-KI sind alles Aspekte der digitalen Transformation (DT). Die Trends werden sich ändern, aber die Frage «Was ist guter Unterricht?» wird bestehen bleiben. Zukünftig werden wir Lehrpersonen bei aller Agilität in der digitalen Transformation nicht mehr alles alleine schaffen. Wir brauchen mehr Zusammenwirken. Hierbei wird der «Digital Learning Hub Sek II» (DLH, siehe unten) eine bedeutende Rolle spielen. Er vernetzt Lehrpersonen der Sek II miteinander. «DLH» könnte eine wichtige zukünftige Abkürzung sein.

Inwiefern kann man als Schulleitungsmitglied auf die Qualität des Unterrichts einwirken?

ANDRÉ DINTER: Das ist die grosse und zentrale Frage wohl für jede Schulleitung. Verstehen wir unter einer hohen «Qualität des Unterrichts» eine positive Wirkung auf die Lernleistung der Studierenden, dann sind wir ganz nah bei Hattie. Dort ist für Schulleitungshandeln eine Gesamteffektstärke von 0.36 angegeben, also nicht herausragend. Als wichtige Aufgaben für Schulleitungen nennt Hattie die Schaffung eines störungsfreien Lernklimas, die Förderung der Zusammenarbeit von Lehrpersonen, aber im Speziellen auch die Förderung des Lernens der Lehrpersonen und deren Teilnahme an Weiterbildungen mit einer Effektstärke von 0.91.

Somit wird die positive Beeinflussung der Unterrichtsqualität eng mit den Lehrpersonen verknüpft. Gelingt es, Lehrpersonen gemeinsam mit anderen Lehrpersonen zu neuen Ansätzen, Perspektivenwechseln, weiteren, auch kleinen Innovationen aber auch zu Trial and Error zu motivieren, scheint das ein guter Weg zu sein, Unterrichtsqualität zu halten und zu heben.

Du hast nicht nur drei Amtszeiten als Prorektor hinter dir, du hast auch mit drei verschiedenen Rektoren zusammengearbeitet. Hatte die Persönlichkeit des jeweiligen Schulleiters einen grossen Einfluss auf deine Arbeit?

ANDRÉ DINTER: In der ersten Amtszeit ist alles neu, da muss man sich in verschiedenste Themen einarbeiten.

Für den Chemiker ist im Bereich Finanzen ein Sachkontobeleg oder ein Innenauftrag etwas Exotisches, Maturprüfungen müssen «erwahrt» werden und die Sitzung mit dem Hochbauamt sollte vorbereitet sein. Da habe ich vom ersten Rektor immer grosse Unterstützung erfahren dürfen. In der zweiten Amtszeit standen grössere Projekte beispielsweise in der Informatik (neue Intranet-Lösung, neue Teams/OneNote-Strategie) an. Da war es wichtig, Vertrauen geschenkt und Freiräume zugestanden zu bekommen. Dies hat der zweite Rektor ermöglicht. In der dritten Amtszeit rückten mehr die Innovationen wie z.B. das bSS in den Fokus. Da war ich sehr froh über eine gelingende, offene Diskussionskultur. Im Rückblick hatten alle drei Schulleiter mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten einen grossen Einfluss auf meine Arbeit. Alle drei haben mich durch die verschiedenen Phasen konstruktiv begleitet, unterstützt und mir ihr Vertrauen geschenkt.

Du unterrichtest weiterhin Chemie an der KME und der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich, du hast auch gegen Ende deiner dritten Amtszeit die Projektleitung «Bildung im digitalen Wandel» beim Kanton Zürich übernommen und stehst dem «Digital Learning Hub Sek II» vor. Was fasziniert dich an deiner neuen Aufgabe?

ANDRÉ DINTER: Das Ziel des «Digital Learning Hub Sek II» (DLH) ist es, das didaktisch-methodische Handlungsrepertoire der Lehrpersonen der Sek II unter Nutzung von digitalen Tools zu erweitern. Unter dem Motto „konsequent vernetzt“ ist der DLH Ende 2019 in einem Pilotprojekt gestartet, Mittelschul-Lehrpersonen und Berufsfachschul-Lehrpersonen untereinander zu vernetzen. Es ist eine ganz tolle Aufgabe, motivierte Lehrpersonen zusammenzubringen.

Da fliegen die innovativen Fetzen, da wird ausprobiert und neu gedacht. Dieses Umfeld, wo alle Akteure in der gleichen Richtung unterwegs sind, fasziniert mich ganz enorm.
Der DLH ist Teil des Projekts «Bildung im digitalen Wandel», in dem noch die Innovationsfonds (Entlastung von Lehrpersonen) und der Aufbau von Entwicklungsteams an den Schulen eine Rolle spielen. In groben Zügen ist das alles strukturiert, aber in der Gestaltung liegt noch grosses Potenzial. Es ist der Gestaltungsspielraum, der mich an meiner neuen Tätigkeit fasziniert, die Möglichkeit der kreativen Einflussnahme kombiniert mit meinen Erfahrungen aus der zurückliegenden Schulleitungstätigkeit.

«Da fliegen die innovativen Fetzen, da wird ausprobiert und neu gedacht.»

Gehe ich recht in der Annahme, dass dich deine gegenwärtige Tätigkeit während der aktuellen Corona-Pandemie genauso auf Trab hält wie deine frühere als Schulleiter?

ANDRÉ DINTER: Auf Trab ja, aber ich bin nicht mehr in ständigem Galopp, zwischendurch gibt es sogar mal ein paar Schritt-Phasen, um in der Pferdesprache zu bleiben.

Die Tätigkeit im Prorektorat ist bedeutend vielfältiger, besonders auch mit der Betreuung von Studierenden und Lehrpersonen, mit viel Verantwortung für die eigenen Teilbereiche, mit Erdbebenertüchtigung, Promotionskonventen, Informatik, Finanzjahresabschluss, Stundenkonti, Glühweinausschank, aber besonders auch mit der andauernden Sorge um das Überleben der Hellraumprojektoren.

Lieber André, vielen Dank für dieses Gespräch.

Interview: Andreas Villiger
Bilder: Roberto Huber